Tod und Totenkult

Der Nationalsozialismus und die Elbgemeinden XIX

Auf Zeitreise mit Dr. Jan Kurz - Zeitgeschichte in den Elbvororten neu interpretiert.

Nachricht über den „Heldentod“ des Sohnes, wie sie millionenfach geschrieben wurden. Foto: Archiv



Der Nationalsozialismus und die Elbgemeinden, Teil 19

In dieser Folge geht um den „Tod und Totenkult“ in den Elbvororten.


Tod und Totenkult

Am 8. März 1945 starb „um 22.10 Uhr“ die 74jährige Johanna Christina Paulsen. Sie starb zuhause, starb in ihrer Wohnung, an der Dr. Chemnitzstr. 18, heute Simrockstraße, in Blankenese. Als Grund für den Tod wird angegeben: „Feindeinwirkung infolge feindlichen Fliegerangriffs“ – acht Wochen vor der bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht. Tags zuvor war in der Notausgabe des Hamburger Anzeigers die Einladung zur „Helden-Gedenkfeier in Blankenese“ abgedruckt worden: „Die Marine-Kameradschaft Blankenese hält am Sonntag, 11. März, 11:30 Uhr, am Gedenkstein auf dem Bismarckstein traditionsgemäß wieder ihre eigene Heldengedenkfeier unter Teilnahme der Wehrmacht und verschiedener Verbände ab.“


Während im Westen die 9. US-Panzerdivision die Brücke von Remagen eroberte und im Osten die Rote Armee 70 Kilometer vor Berlin stand, „beging die Marinekameradschaft Blankenese mit einer eindrucksvollen Feier den Heldengedenktag mit eindringlichen Worten der Dankbarkeit und unverbrüchlicher Treue und Zuversicht.“ Zwei Tage später erhielt Frau Krooß in Blankenese einen Brief von SS-Untersturmführer Finger, in dem dieser ihr die Mitteilung machte, dass „Ihr geliebter Mann, unser treuer Kamerad, SS-Mann Christian Krooß am 19.2.45 in Stargard (Südpommern) einem Bombenangriff zum Opfer gefallen ist…. Ihr Mann hat in klarer Erkenntnis der Notwendigkeit dieses Kampfes sein Leben geopfert. Er war ein braver SS-Mann. Sie können stolz auf ihn sein.“ Implizit war an Christian Krooß auf dem Bismarckstein gedacht worden, denn er starb den „Heldentod“, und Kameradschaftsführer Eduard Seeburg hatte in Blankenese bereits das Versprechen gegeben, auch „den Gefallenen des jetzigen Krieges einen Gedenkstein“ zu setzen. Johanna Paulsen hingegen blieb ex- und implizit unerwähnt.

Plan der durch das Luftschutzamt am Elbufer vorangetriebenen Schutzstollen. Foto: Archiv

Mit Kriegsbeginn begann auch das Sterben in den Elbgemeinden. Bereits in der Ausgabe vom 20. September 1939 der Norddeutschen Nachrichten findet sich die erste kriegsbedingte Todesanzeige aus den Elbgemeinden. Leutnant Rudolf Eggers, „unser lieber Sohn, unser Stolz und unsere Hoffnung“, so steht zu lesen, „ist im Alter von 21 Jahren opferfreudig in den Tod für Deutschland gegangen“. Eggers gehörte damit zu den über sechs Millionen Toten auf deutscher Seite, mithin etwa neun  Prozent der gesamten Bevölkerung, sollten den Krieg nicht überleben. Zugleich gehörte er mit seinem Geburtsjahr zu denjenigen Jahrgängen, in denen die Zahlen weitaus höher waren, Historikerinnen und Historiker gehen von teilweise bis zu 30 Prozent der männlichen Bevölkerung einiger Jahrgänge aus, die den Krieg nicht überleben sollten.

Wie viele Tote an der Front, an der Heimatfront, durch Verfolgung, Vernichtung und Shoa tatsächlich in den Elbgemeinden zu beklagen waren, lässt sich nicht feststellen, die Zahlen gehen in die Tausende. In den Norddeutschen Nachrichten finden sich alleine zwischen September 1939 und Februar 1943, als deren Erscheinen eingestellt wurde, mehr als 300 Anzeigen aus Wedel, Rissen, Sülldorf, Blankenese und Flottbek. Und das große Sterben an der Front hatte noch lange nicht begonnen, fand erst im letzten Kriegsjahr statt. Und die Mitteilung des Verlustes in der Zeitung mussten sich die Hinterbliebenen auch leisten können, was nicht jedem möglich war. Und wir zählen nur die Anzeigen, die einen eindeutig militärischen Hintergrund haben und deren Adressabgaben Rückschlüsse auf die Herkunft der Toten zulassen, keine Toten durch Bomben wie Johanna Paulsen, keine verstorbenen Kriegsgefangenen, keine Zwangsarbeiter und, und, und –


Der Tod als großer Gleichmacher – die Söhne lokal bekannter Nationalsozialisten starben früh. Foto: Archiv


Auch wenn als Tote alle Menschen einander gleich sind, so ist es das Gedenken an sie nicht. Das Gedenken an die Toten gehört zur menschlichen Kultur. Das Gedenken „der gewaltsam Umgebrachten, derer, die im Kampf, im Bürgerkrieg oder im Krieg umgekommen sind, gehört zur politischen Kultur“, so Reinhard Koselleck. Neben die Trauer im Familien- und Freundeskreis trat damit die öffentlich inszenierte Trauer des NS-Systems. Hierfür hatte die anfangs bereits erwähnte Marinekameradschaft der Elbgemeinden unter ihrem Vorsitzenden Eduard Seeburg bereits vor Kriegsbeginn den entsprechenden Ort auf dem Bismarckstein geschaffen, wie bereits an anderer Stelle berichtet. Die jährlich dort beim Marinedenkmal stattfindenden Feiern zum Heldengedenktag erhielten durch den Weltkrieg einen aktuellen Bezug, der das Ritual in die politische Gegenwart hob. Für den symbolischen Wert dieser Veranstaltung spricht die Tatsache, dass sie unbeeinträchtigt durch den Kriegsverlauf bis in den März 1945 abgehalten wurde.

Doch damit machte das Gedenken nicht Schluss. Auf der Schwelle zwischen öffentlicher Inszenierung und privater Trauer standen die Kirchen, die sich mit Dankesgottesdiensten für die militärischen Siege und Gedächtnisfeiern in den Dienst des NS-Kultes um den Heldentod stellten. „Wir müssen dankbar sein“, so predigte Propst Schetelig im Juli 1940 in einem Gedenken für die Gefallenen der Blankeneser Gemeinde in Norwegen, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Frankreich, „daß im Verhältnis zu dem großen Einsatz die Zahl der Gefallenen eine so geringe ist. Das Bewußtsein, daß die Gefallenen ihren Erdendienst mit dem letzten und größten Einsatz erfüllt haben, trocknet zwar nicht die Tränen, aber es macht die Herzen stiller. Wir wollen unserer Gefallenen nicht nur in kurzen Feierstunden gedenken, sondern ihnen, die auch für uns gestorben sind, unser ganzes Leben dankbar sein.“


Gefallen „für Führer und Reich“. Foto: Archiv

Stehend hörte die versammelte Gemeinde die Namen der „auf dem Felde der Ehre gebliebenen Blankeneser“, die Orgel intonierte auch hier leise das Lied vom guten Kameraden, womit symbolisch der Zusammenschluss mit den Heldengedenktagen auf dem Bismarckstein erfolgte. Nur wenige Wochen später musste Propst Schetelig den Tod seines Sohnes Wilhelm „für Führer und Reich“ hinnehmen. „Es ist nun mal leider so, daß jeder Krieg Opfer verlangt. Allein noch in keinem Kriege ist um eine solche heilige Sache gekämpft worden wie gerade in diesem. Kein Opfer ist zu groß, daß gebracht werden muss, damit Deutschland, das Reich, bestehen bleibt. Unser Volk würde dem sicheren Tod entgegen gehen, sollte es unserem Gegner gelingen uns zu besiegen.“ So nochmals der Brief an Frau Krooß. Vielleicht stand Ähnliches in dem Schreiben mit den Todesnachrichten, die Propst Schetelig erhielt. „Für Führer und Vaterland“, so lesen wir eine Todesanzeige, sollte im Januar 1944 dann auch der zweite Sohn der Scheteligs in Italien fallen.

Todesanzeigen sprechen nicht nur für sich, geben nicht nur den Tod eines geliebten Menschen bekannt. Sie überbringen Botschaften: ob ein Soldat „für Führer, Volk und Vaterland“ gefallen ist, ob er den „Heldentod“ starb, oder ob ein Soldat „sein junges und hoffnungsvolles Leben am 24. August 1941 im Osten lassen musste“, wie Alwin Hecht, macht einen Unterschied. Während die Todesnachrichten von der Front mit Phrasen über den Opfertod reich bestückt waren, um dem Tod einen „sinnvollen“ Rahmen zu geben, boten Anzeigen in den Zeitungen den trauernden Angehörigen Gelegenheit, Nähe und Distanz zum Regime auszudrücken. „Wir sanken hin für Deutschlands Glanz / Blühe Deutschland uns als Totenkranz“, so der Nachruf von Ella Döllinger auf ihren Mann Max, ehemaliger Ortsgruppenleiter in Blankenese. „Er ließ sein junges Leben für seinen Führer und seine Heimat an der Ostfront.“ Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen… Anders lesen sich dagegen Anzeigen wie die für Kurt Hodwalker aus Wedel, „unser lieber, unvergeßlicher, hoffnungsvoller Sohn, unser lieber, guter Bruder, Schwager, Enkel und Neffe, mein innigst geliebter Verlobter und Schwiegersohn, unser lieber Freund und allzeit hilfsbereiter Kamerad“, der „im Osten sein Leben lassen mußte, nachdem er den Feldzug in Polen und Frankreich glücklich überstanden hatte. Lieber Kurt, du bleibst uns unvergessen! Ruhe sanft in fremder Erde!“ Kein Wort von Heldentum, kein Opfertod, kein Führer und kein Vaterland. Nur ein Mensch, der eine Leerstelle hinterlässt, wo er einst war.

Dr. Jan Kurz

 

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